Das Potenzial in der Gastronomie ist gross

27. Jan 2022

Gastbeitrag von : lunchidee - Sophie Frei

© Bild 1: Simon Tanner
© Bild 2: James Batten

Magazin

Mit dem Pionierprojekt lunchidee setzt sich die Ernährungswissenschaftlerin Sophie Frei, freistil, für eine nachhaltige und gesunde Esskultur und Gastronomie ein. Sie ist überzeugt, dass wir mit unseren täglichen Entscheidungen viel bewirken können. Denn was wir essen und trinken wirkt sich nicht nur auf uns und unsere Gesundheit, sondern auch auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft aus – jetzt und in Zukunft, lokal und global.

Potenzial für eine zukunftsfähige Esskultur
Die Gastronomie bietet ein grosses Potenzial, eine zukunftsfähige Esskultur über eine positive, erlebbare Weise zu fördern. Allein über Mittag verpflegen sich in der Schweiz zu normalen Zeiten etwa 70% der Bevölkerung auswärts. «Wir können hier sehr viele Menschen erreichen und bei den Gästen über Informationen, Geschichten und Sinneserlebnisse rund ums Essen und Trinken etwas auslösen. Immer mehr Gäste wollen wissen was sie essen, woher die Lebensmittel kommen und wie sie hergestellt wurden. Viele wünschen sich ein attraktives vegetarisches und veganes Angebot. Raffinierte pflanzenbasierte Speisen werden in Zukunft immer wichtiger», so die Initiantin des Pionierprojekts.

Gastronom:innen haben als Multiplikator:innen eine wichtige Rolle. Sie setzen sich täglich mit Lebensmitteln auseinander, arbeiten an der Schnittstelle zwischen Feld und Teller, können entscheiden, wen und was für eine Landwirtschaft sie mit ihrem Einkauf unterstützen, wie sie mit Produzent:innen zusammenarbeiten, wie wertschätzend sie mit Lebensmitteln umgehen und was sie dem Gast servieren und kommunizieren. Es gibt zahlreiche Handlungsfelder in denen die Gastronom:innen aktiv werden und sich für eine nachhaltigere Gastronomie einsetzen können. Das Pilotprojekt lunchidee hat sich zum Ziel gesetzt, sowohl Gastronom:innen, als auch Gäste zu erreichen, ihnen Handlungsfelder aufzuzeigen und mittels konkreten Themen und Ideen auf inspirierende Weise ein nachhaltiges und gesundes Koch- und Essverhalten zu fördern. Im Zentrum stand dabei das Mittagsangebot in der Individualgastronomie – von der Quartierbeiz bis zum Landgasthof in städtischen und ländlichen Gebieten der Deutsch- und Westschweiz.

lunchidee will Appetit wecken, informieren und zu bewusstem Handeln im Alltag inspirieren.

Insgesamt 35 Restaurants haben beim Pilotprojekt mitgemacht. Mutige Gastronom:innen, die sich dazu bereit erklärt haben, sich mit uns auf eine 8- oder 6-monatige Reise (2 Pilotphasen) zu begeben und sich jeden Monat mit einem neuen Thema auseinanderzusetzen, Menüs zu kreieren und zu servieren: Bei den 8 Themen geht es zum Beispiel um Vielfalt und das Entdecken einer heimischen Sortenvielfalt bei Getreide, bei Hülsenfrüchten, Kartoffeln und Gemüse. Es geht um tierische und pflanzliche Proteinlieferanten, um alltägliche Kostbarkeiten aus der Ferne wie Kaffee und Schokolade und um gesundheitliche Aspekte, beispielsweise was die Themen Salz, Zucker, Fette oder eine ausgewogene Menükomposition betrifft. Auch die Wertschätzung von Lebensmitteln und die Vermeidung von Food Waste erhielten durch alle Themen hindurch die verdiente Aufmerksamkeit.

Die Schulungsunterlagen für die Gastronom:innen wurden während zwei Pilotphasen in 35 Restaurants der Deutsch- und Westschweiz erprobt, validiert und anschliessend in einem Praxisleitfaden zusammengetragen.

«Mit den Themen, Ideen und Inspirationen wollen wir die Neugier wecken und die Gastronom:innen dazu anregen über den Tellerrand hinaus zu blicken, gewohnte Abläufe zu hinterfragen, Neues auszuprobieren und Veränderungen anzustossen. Das erfordert Mut, Offenheit und auch die Bereitschaft, die Komfortzone zu verlassen» so die Projektleiterin.

Wie die Evaluationsergebnisse gezeigt haben, gaben drei Viertel der Pilotbetriebe an, dass das Projekt bei ihnen Veränderungen angestossen hat: Insbesondere was die Attraktivität vegetarischer Menüs, die Verwendung heimischer Getreidesorten, die strikte Einhaltung der regionalen Saisonalität, neue Lieferantenbeziehungen und Massnahmen zur Vermeidung und Verminderung von Food Waste betrifft. Insgesamt wurden allein während der 2. Pilotphase über 25'000 lunchidee-Menüs verkauft. Es hat sich auch gezeigt, dass die Küche der zentrale Ort für Veränderung ist.
Ein:e motivierte:r Küchenchef:in ist eine wesentliche Schlüsselperson. Doch auch das Servicepersonal spielt eine ausschlaggebende Rolle, denn trotz der farbenfrohen, attraktiven Gestaltung von lunchidee-Tischsets und -Flyern ist ein Grossteil der Gäste über Mittag – vor allem aus zeitlichen Gründen – nur schwer erreichbar.

Das vom Migros-Pionierfonds ermöglichte Pionierprojekt lunchidee, wurde zwischen 2017 und 2020 erfolgreich umgesetzt. Es hat auf unterschiedlichen Ebenen Wirkung entfaltet und seine Ziele weitgehend erreicht. Es hat sich aber auch gezeigt, wie schwierig es ist, in einer Branche mit etablierten Abläufen, hektischem Arbeitsalltag, Zeitmangel und wirtschaftlichem Druck nachhaltige Veränderungen zu initiieren und zu verankern und gleichzeitig die Botschaften wirkungsvoll an die Gäste heranzutragen. Um einen Betrieb und seine Mitarbeitenden dazu zu bewegen, sich mit der Thematik rund um eine nachhaltige und gesunde Esskultur auseinanderzusetzen, gewohnte Routinen zu hinterfragen und die Komfortzone zu verlassen, ist es dienlich, gleichzeitig auf mehreren Ebenen anzusetzen. Es ist damit nicht die Frage, ob ein ‘Top down’- oder ein ‘Bottom up’-Ansatz der richtige Weg ist – es ist ein sowohl als auch:
Die Betriebsleitung muss ihren Entscheid engagiert und motivierend im Betrieb vertreten und gute Rahmenbedingungen schaffen, das Personal muss Feuer fangen.

Die zweite Pilotphase wurde im März 2020 aufgrund des Lockdowns abrupt beendet. Die Gastronomie wird seither sehr hart durch die Pandemie getroffen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen und Gastronomiebetriebe, die sich mit einer nachhaltigen Esskultur auseinandersetzen, sich für Vielfalt, Qualität, Wertschätzung und bewussten Genuss einsetzen und gemerkt haben, dass es sich lohnt. Denn je spürbarer und authentischer das Engagement, desto erfüllender und freudvoller wird auch die tägliche Arbeit in der Küche, im Service oder bei der Betriebsleitung. Und desto zufriedener sind die Gäste.

Ein grosses Dankeschön an Sophie und lunchidee!